Familie Mausbach aus Harsewinkel berichtet über ihre Erfahrungen mit ihren beiden Austauschschülern aus Lima in Peru im Jahr 2016 und 2017.
Schon als unsere Kinder sehr klein waren, baten sie um einen großen Bruder. Doch erst Januar 2016 konnten wir ihnen erstmals den Wunsch erfüllen.
José hieß er, war 15 Jahre jung, „klein“ und zart, dafür aber schnell und wendig. Seine bevorzugte Bezugsperson war unsere damals 16-jährige älteste Tochter Miriam, mit der er die gleiche Schulklasse besuchte. Es waren noch zwei Chilenen in der Klasse. Historisch gesehen waren sie Feinde, doch die gleiche Muttersprache verband die drei Jungs schnell miteinander und da sich die Gastschwestern ebenfalls gut verstanden, unternahmen wir oftmals etwas zusammen. Der Deutsch-Lernerfolg wäre bestimmt besser gewesen, wenn jeder eine andere
Klasse besucht hätte, doch waren sie trotzdem eine Bereicherung für die Klasse, mit ihrer quirligen, sonnigen Art und der Partylaune.
Als wir zum Abschied der Chilenen die beiden anderen Gastfamilien zum Bahnhof begleiteten, hatten alle Jungs Tränen in den Augen, als sie sich mit Schulterklopfen voneinander verabschiedeten. Die drei folgenden „chilenenlosen“ Wochen waren nicht einfach für José. Doch wir haben viel unternommen, um ihn abzulenken. Der Abschied von uns fiel schwer, denn was sollte er sagen, „wahrscheinlich bis nie mehr“. So nahm er unseren beiden Töchtern das Versprechen ab, ihn eines Tages in Peru zu besuchen.
Die Großeltern schenkten Miriam das Geld für den Flug nach Lima und so war die Finanzierung der Reise gesichert. Von Schwaben International erhielten wir wertvolle Tipps für den Besuch in Peru. Wir brachten Miriam nach Amsterdam, von dort flog sie direkt nach Lima, wo die Familie auf sie warten sollte, doch sie waren nicht da. Es hatte einen Unfall auf der Zufahrtstraße gegeben. Kurzerhand haben daraufhin der Gastvater und José das Auto verlassen und sind die vier Kilometer zur Ankunftshalle gejoggt.
Miriam wurde sehr herzlich in der Familie aufgenommen und ganz besonders die achtjährige Schwester, die für Miriam ihr Zimmer geräumt hatte, fand es super eine große Schwester zu haben. Während der peruanischen Winterferien waren Miriam und José auf vielen Partys, haben viel besichtigt und mit Freunden und Verwandten tolle Ausflüge unternommen. Die Familie stellt Miriam immer als ihre deutsche Tochter vor und so fühlte sie sich auch wirklich. Sie unterhalten immer noch eine „Familien WhatsApp Gruppe“. Und José hat ebenfalls noch guten Kontakt mit einem der beiden Chilenen und plant eines Tages mit ihm zusammen Deutschland und uns zu besuchen.
Januar 2017 – Es soll ein Junge sein!
Bei der Wahl des Geschlechtes waren sich wieder alle einig: Es sollte wieder ein Junge sein, der mit uns für fast acht Wochen zusammenlebt. Und so bekamen unsere Kinder einen Bruder, der am Familienleben sehr interessiert war, geholfen hat, wo er konnte und sein eigenes Zimmer nur zum Schlafen nutzte. Für uns ist er weit über seinen eigenen Schatten gesprungen, denn trotz seiner Schüchternheit, insbesondere Mädchen gegenüber, tanzte er mit uns Salsa und Bachata. Es war sehr schön zu sehen, wie er nach und nach seine Zurückhaltung ablegte und zu einem routinierten, improvisierenden Tänzer wurde.
Mit unserem Sohn nahm er am Fechtunterricht teil und stieg bereits nach der fünften Trainingsstunde in die Leistungsgruppe auf,
wo er zu einem gefürchteten Gegner wurde. Fechten wollte er immer schon einmal ausprobieren. Schlittschuhlaufen konnte er bereits und Schnee und Kälte liebte er. Einmal pro Woche fuhren wir zum Klettern, wo er nach Herzenslust seine Kräfte und sein Geschick unter Beweis stellen konnte. Er gab unseren Kindern wertvolle Tipps und motivierte sie, sodass sie ihren Boulder auch schafften.
Sein Lieblingsfach in der Schule war Schmieden. Denn er ist ebenso handwerklich begabt und stellte während seiner Schulzeit zwei Messer und einen Hammer her. Am zweiten Tag seines Aufenthaltes bei uns, filzte er schon seine eigenen Pantoffeln, da er mit den seinen immer an unseren Treppenstufen hängen blieb. Bei unseren Pferden, Schafen, Hühnern und Katzen bewies er ebenfalls viel Feingefühl, denn er ließ sie zu sich kommen und behandelte sie sehr vorsichtig und liebevoll.
Doch was ihn wohl am stärksten beeindruckt hat, war, dass wir mit ihm zum Jazzkonzert seines liebsten Musikers nach Mannheim gefahren sind. Denn seine größte Leidenschaft gilt der Musik, da er seit früher Kindheit Klavier spielt. Ebenso beherrscht er Schlagzeug und Gitarre und tritt in einer Jazz Big Band auch international auf.
Was er gar nicht kannte, war das Miteinander mit Nachbarn, denn in Lima kennt man nicht zwingend die Menschen, die nebenan wohnen. Doch bei uns hat er alles selbstverständlich mitgemacht. Ich denke, für ihn war das Miteinander in unserer Familie das Highlight. Denn selbst wenn er tagsüber müde war, hat er sich lieber auf die ein Meter lange Küchenbank gelegt, als in sein Bett zu gehen.
Wenn mir ein Verhalten seinerseits einmal nicht gefiel, reichte schon ein einfacher, netter Hinweis und er änderte es sofort. Unseren Kindern wurde er ein wirklicher Bruder und mir ein guter Sohn. Wir denken Gonzalo hat viel von seinem deutschen Leben mit nach Lima genommen und wir freuen uns schon sehr darauf, ihn wieder zu sehen. Von Gonzalo und seiner Familie erhielten wir ebenfalls eine Einladung, sie in Lima zu besuchen. Und als ich Gonzalo einmal berichtete, dass ich eine wirklich nette Chefin hätte, sagte er zu mir: „Ich
habe nur nette Deutsche kennengelernt.“
Was uns dazu bewegt, Gastfamilie zu sein:
Wir lieben den Austausch mit den wirklich gut deutsch sprechenden Schülern aus Lima, wenn nur der Abschied nicht wäre. Denn jedes Gastkind hinterlässt seine eigenen Spuren in der Familie. Wir finden es wichtig, Altes und Eingefahrenes in Frage zu stellen und aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten, was am besten mit jemandem aus einem ganz anderen Kulturkreis gelingt. Wir bevorzugen für die Zeit des Austausches Januar und Februar, da es bei uns eine trostlose, kalte Zeit ist, in der man gerne abends am Küchenofen zusammensitzt,
um zu erzählen und zu spielen. Interessanterweise scheint es so, als würde jedes Gastkind sich eine spezielle Bezugsperson in der Familie aussuchen. Für mich als Gastmutter ist es immer sehr ergreifend, wenn ich das Vertrauen der Jugendlichen gewonnen habe und sie mit persönlichen Fragen zeigen, dass sie sich Gedanken machen und offen sind für unsere Kultur.
Es ist sehr schön mitzuerleben, wie die einzelnen Familienmitglieder und die Gastkinder gleichermaßen bemüht sind, sich in die Familie einzubringen und nachher von den peruanischen Familien zu erfahren, wie die Jugendlichen in der Zeit in Deutschland gereift sind und ihr eigenes Leben selbstbewusster in die Hand nehmen.