Junkfood liebender Großstädter trifft auf Waldorf-Landmäuse

„Wir vermissen Dich“ – eine Gastfamilie schreibt uns mit einem Augenzwinkern: Das Wichtigste, das wir in den 7,5 Wochen über unseren Austauschschüler erfahren haben, ist, das ihm sein Stolz und Ansehen sehr wichtig sind. Aus diesem Grund gibt es in unserem Bericht auch keine Fotos und Namen.

Krassere Gegensätze im Austausch gab es wohl nirgends. Minimalistischer Kopfmensch aus der Großstadt kommt zu einer ländlichen, handwerklichen Waldorffamilie. Er hatte es nicht ganz leicht bei uns, denn alles was für ihn wichtig und normal war, galt nicht viel bei uns.

Das erste Wochenende haben wir damit verbracht für seine gleichaltrige Gastschwester Korkfußboden zu verlegen und Holzfußleisten anzubringen. Handwerkliche Tätigkeiten waren für ihn absolut neu und das Durchhaltevermögen überzeugte nicht wirklich, doch er hat alles tapfer mitgemacht.

In der ersten Woche kam es noch vor, dass er,  als er nachfragte worüber sich die Mädchen denn gerade unterhielten „musst Du nicht wissen“ oder „Ach, nichts“ zu hören bekam. Erst als sie sich in seine Lage versetzten bemerkten sie dass ihr Verhalten blöd war, da er ja denken musste, dass sie sich über ihn unterhielten.

Mit den meisten unserer Tiere konnte er nichts anfangen. Dafür spielte er draußen lieber Basketball, natürlich mit Musik. Auch unser Essen war nicht ganz so sein Ding, sodass er schon nach wenigen Tagen fragte, ob er etwas von McDonald bekommen könne. Sein Gastvater brachte die gewünschten Speisen nach der Arbeit mit. An diesem Abend schalteten wir die Fritteuse an, damit alle Pommes essen konnten. Er muss sehr erleichtert gewesen sein, als er feststellte, dass seine Lebensgrundlage „Pommes“ dank Fritteuse und Gefrierschrank zu jeder Tages- und Nachtzeit vorhanden war. Nur einmal ging uns das Gefriergut aus, doch selbst da hat er fleißig geholfen Kartoffeln zu schälen, zu wässern, zu trocknen und zu frittieren. Wir konnten ihn öfter dazu überreden mit uns zu Kochen und er meinte einmal, Kochen könnte sein neues Hobby werden. Gemüse und Obst, Vollkorn- und Dinkelbrötchen waren ebenfalls nicht das was er gewohnt war. Doch im Supermarkt gab es auch helle Aufbackbrötchen, zweites Problem gelöst. Kakao und Zartbitterschokolade waren ebenfalls sehr wichtig, konnten aber leicht besorgt und gelagert werden. Es brauchte immer nur Kleinigkeiten um ihn glücklich zu machen.

Seine Bereitschaft in unserer Gegenwart seine Kopfhörer abzunehmen und die Musik von seinem Handy laut zu Hören, ermöglichte es uns trotzdem mit ihm zu Kommunizieren, wenn er Musik hören wollte. Da er generell zurückhaltend ist und wir ihn aufgrund unserer Körpergröße wohl auch eingeschüchtert hatten, dauerte es etwas länger bis er anfing seine Gastgeschwister zu foppen.

Er besaß unverschämtes Glück beim Uno-Spielen, hatte Erfahrung im Umgang mit den Billard- und Bowlingkugeln. Schlittschuhlaufen und Kartfahren waren neu doch nicht so beliebt wie Indoor-Klettern (Boldern). Je länger er bei uns war desto einfacher und selbstverständlicher war die Kommunikation.

Er war nie lange ärgerlich, wenn es vorkam, dass jemand ihn verletzt hatte. Problemen ging er stets aus dem Weg, doch war er interessiert zu wissen, ob er etwas falsch gemacht hatte. Da er als Minimalist keinerlei Energie verschwendet, sprach er generell wenig, doch seine Mimik sprach Bände. Wenn etwas für ihn wichtig war, konnte er stets geschickt argumentieren.

Es war sehr spannend und interessant ihn bei uns zu haben. Wir möchten die Zeit auf keinen Fall missen. Er brachte die Sonne Südamerikas in unsere kalte, trübe Winterzeit, doch leider nahm er sie auch wieder mit nach Hause.