Durch Kanada von Ost nach West (2019)

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Jubiläumsreise des Hettinger Freundeskreises vom 28. Juli bis 16. August 2019

Alle paar Jahre packt die Mitglieder eines Freundeskreises aus der kleinen schwäbischen Stadt Hettingen das Fernweh. Dann verständigen sie sich auf ein Ziel und Schwaben International übernimmt die Organisation. Als Jubiläum und Abschluss dieser schönen Tradition haben sie sich in diesem Jahr für eine Reise durch Kanada entschieden. Karl-Heinz Schlumberger, ehemaliger Oberbürgermeister von Remseck, berichtet eindrucksvoll von den herausragenden Erlebnissen in Kanada.

Gerade mal 16 Personen umfasst die kleine Gruppe, die sich am Sonntagmorgen Ende Juli im Stuttgarter Flughafen versammelt, um sich auf die Reise nach Kanada zu begeben. Mit dem Anschlussflug geht es nach Frankfurt und mit einem großen Airbus weiter nach Toronto, wo wir, bedingt durch die sechsstündige Zeitverschiebung schon am frühen Abend eintreffen. Wir werden empfangen von einer liebenswürdigen,
älteren Dame, die uns zu unserer allgemeinen Überraschung in perfektem Schwäbisch begrüßt. Obwohl schon über 40 Jahren in Kanada
wohnhaft hat sie sich ihren Dialekt lupenrein bewahrt. Nach einer entspannten Nacht im Delta Hotel startenwir zur obligaten Stadtrundfahrt.

Toronto – Stadt im Umbruch
Toronto ist mit aktuell über sechs Millionen Einwohnern die größte Stadt des Landes. Noch vor 50 Jahren galt die Hauptstadt Ontarios als verschlafen und langweilig, durch und durch weiß, angelsächsisch und protestantisch – heute, durch Einwanderung aus aller Herren
Länder, präsentiert sie sich als lebendiges, modernes und boomendes Wirtschaftszentrum. Wir erleben eine Stadt im Umbruch, unzählige moderne Büround Wohnhochhäuser neben immer weniger werdender alten Bausubstanz. Exemplarisch zu sehen an der alten und neuen Townhall, beide herausragende Architekturbeispiele ihrer Zeit. Einen grandiosen Überblick über die Stadt und ein vorzügliches Essen bietet das Drehrestaurant im CN-Tower in über 400 Metern Höhe. Naheliegend, dass auch die Preise Spitze sind, so z.B. 16 kanadische Dollar für ein Bier.


Beeindruckendes Naturschauspiel
Strömender Regen empfängt uns am nächsten Morgen, als wir am Lake Ontario entlang zu den Niagara-Wasserfällen fahren. Pflichtprogramm wohl für alle Kanadabesucher und ein beeindruckendes Naturschauspiel. Wir lassen die Bilder der 60 Meter in die Tiefe stürzenden Wassermassen auf uns wirken und machen Rast auf der Terrasse des über 100 Jahre alten Queen Victoria Place Restaurants. Einer Probe lokaler Bierspezialitäten können wir nicht widerstehen. Der vorgesehene Kurzbesuch des kleinen viktorianisch geprägten Städtchens Niagara-on-the-Lake fällt leider aus und wir beschließen den Tag auf Vorschlag von Dorothy, unserer Führerin, in der Pizzeria Mamma Martino.

Wir verlassen das feuchte und schwülwarme Klima Torontos und fahren Richtung Osten. Ziel ist Ottawa, die Hauptstadt Kanadas. Die lange Fahrt unterbrechen wir mit einer Bootsfahrt auf Thousand Islands, einem wunderschönen See mit über 1000 Inseln aller Größen, bestückt mit Ferienhäusern aller Art, von der schlichten Holzhütte bis zur spleenigen Schlossreplik eines reichen Amerikaners. Nach Hotelbezug und Abendessen genießen wir die beeindruckende tägliche Licht-und Lasershow, in der die kanadische Geschichte an die gotische Front des prächtigen Parlamentsgebäudes projiziert wird. Nach einer entspannten Nacht im wunderbar zentral gelegenen Hotel starten wir zur nächsten Stadtrundfahrt, unterbrochen von einem Besuch des täglich stattfindenden Zeremoniells des Wachwechsels vor dem Parlament. Kein Vergnügen für die uniformierten Männer bei 30 Grad unter ihren schweren Bärenfellmützen. Viel zu wenig Zeit bleibt uns für diese schöne Stadt, die reich ist an Architektur und Kultur.

Montreal: Wo sich Alte und Neue Welt treffen
Weiter geht’s in die nächste Metropole, nach Montreal, mit vier Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Kanadas und nach Paris die größte französischsprachige Stadt der Welt. Auch hier kann es nicht mehr sein als ein Hineinschnuppern in eine Stadt, in der sich Alte und Neue Welt treffen. „Vieux Montréal”, die sich am Hafen ausdehnende Altstadt, zeigt typische Bauten aus der viktorianischen Zeit. Wir fahren zum Mount Royal und genießen den Blick über die Stadt, wir sehen das Olympiastadion von 1976 mit seinem schiefen Turm, fahren über die Formel 1
Rennstrecke und besichtigen, ein absolutes Muss, die wunderschöne neugotische Kathedrale Notre Dame von 1843.

Fünf Tage, nunmehr prall gefüllt mit Eindrücken und Informationen über drei wichtige Städte dieses riesigen Landes, standen uns zur Verfügung, um den Osten Kanadas ein kleines bisschen kennenzulernen. Heute verlassen wir Montreal, fahren zum Flughafen, verabschieden uns von unserer schwäbelnden Reiseleiterin, aber auch von den nicht immer taufrischen Kleinbussen mit ihren defekten Mikrofonanlagen,
die uns leider manche Information vorenthalten haben und machen uns auf in den kanadischen Westen nach Calgary und in die Rocky Mountains.

Als wir am Freitagabend den Flughafen in Calgary verlassen, geht ein leichtes Raunen durch die Gruppe. Vor uns steht ein großer Luxusbus, in dem auch 50 Personen leicht Platz finden würden. Er wird uns die lange Reise durch die Rockys bis nach Vancouver angenehm machen. Daneben ein großer alter Mann, gestützt auf seinen Wanderstock. „Hardy”, so stellt er sich vor, unser Reiseleiter für die nächsten zwei Wochen.

Sightseeing ist am nächsten Tag angesagt. Mit dem Bus, zu Fuß und am Abend auf dem Weg zum Abendessen versuchen wir Calgary kennenzulernen. „Von der Kuhstadt zur Ölstadt”, so beschreibt Hardy die Entwicklungen. Aktuell durch den niedrigen Ölpreis mit wirtschaftlichen Problemen kämpfend. Am Abend ist davon wenig zu spüren: Es herrscht pulsierendes Leben auf der autofreien Stephen Avenue, wo zahllose Lokale alle Wünsche befriedigen und freundliche Polizisten Zeit für einen Plausch haben.

Berühmt-berüchtigte Rocky Mountains
Der Banff-Nationalpark wartet am nächsten Tag auf die Gruppe. Die Naturschutzvorgaben sind rigide; Banff in einem Hochtal gelegen, vom Bow-River begleitet, beliebtes Ausflugsziel für Calgary, darf nicht weiter wachsen, soll eher schrumpfen. Mit der Gondel fahren wir auf den
Sulphur Mountain und genießen ein grandioses Panorama. Lake Louise wartet auf uns, der wohl berühmteste Bergsee Kanadas und jährlich Ziel von Millionen Besuchern. Eindrucksvoll das gewaltige Fairmont-Hotel direkt am Ufer mit über 2.000 Zimmern. Es sind Bilder, die wir nicht so schnell vergessen werden.

Wir fahren weiter in die Rockys, begleitet von Seen, Gletschern und hohen Bergen. Plötzlich lautes Hallo: ein friedlich fressender junger Schwarzbär am Straßenrand! Deprimierend der Blick auf die bewaldeten Berghänge: Flächendeckend ist der Wald geschädigt durch Borkenkäferbefall. 46 Gletscher säumten einst den nach Jasper führenden Icefield Parkway. Heute künden nur noch klägliche Reste von der einstigen Pracht. Das riesige Columbia- Icefield, ein Überbleibsel aus der letzten Eiszeit, das einen großen Teil von Nordamerika mit Wasser versorgt, ist zwar immer noch groß, aber die Schrumpfung schreitet rapide voran. Der Spaziergang am Athabasca Gletscher mit seinen Markierungen führt uns dies deutlich vor Augen. Nach einer kleinen Rundfahrt durch den Skiort Jasper übernachten wir am Pyramide Lake.

Natur pur im Westen
Heute verlassen wir die Rockys. Rast am Fuße des Mount Robson, mit 3.954 Metern die höchste Erhebung Westkanadas. Begleitet vom Thompson-River passieren wir die Grenze zu British Columbia und stellen die Uhren zum dritten Mal zurück. Neun Stunden gegenüber MEZ. Wald begleitet uns. Waldwirtschaft dominiert. Auch hier besteht der Wald oft nur aus dürren Stangen. Die lange Fahrt endet in Kamloops. Beim Abendspaziergang sehen wir wenige hundert Meter entfernt sechs Bären auf dem Golfplatz.

Weiter geht die Reise Richtung Vancouver. Die Hänge karg und trocken, bewachsen mit wildem Salbei. Im Caribou Country finden sich die größten Jadevorkommen der Welt. Lilloet, einst eine Indianersiedlung, ist der heißeste Ort Kanadas. Nur Bewässerung ermöglicht kleine grüne
Flecken. Wir fahren weiter auf der Duffey Lake Bergstraße, eine der schönsten Touristenrouten mit herrlichen Ausblicken auf die Berglandschaft British Columbias, durchqueren das Pemberton-Indianerland und erreichen am Abend Whistler, ein sehr bekanntes, im europäischen Stil angelegtes Skiresort. Ein Spaziergang durch die Fußgängerzone mit Lokalen und Geschäften ist eine angenehme Abwechslung. Wir bewundern die clevere Geschäftsidee dieses Ortes, das Skifahren im Winter um das Mountainbike-Abfahren im Sommer zu ergänzen.

Die schönsten Städte der Welt
Unsere Reise neigt sich allmählich dem Ende zu. Aus den Bergen hinab an die Küste, auf dem legendären „Sea to Sky” Highway geht es 800 Meter tiefer Richtung Vancouver. Die Straße wurde anlässlich der Olympiade 2010 vierspurig ausgebaut und bietet fantastische Ausblicke. Vor Vancouver ist Squamishland, einst von Indianern bewohnt. Nach einem kurzen Spaziergang zum Shannon-Fall setzen wir die Fahrt fort und erleben eine nette Überraschung. Hardy, der uns seit Calgary mit seinem Wissen und unzähligen Anekdoten aus seinem bewegten Leben als Eisenbahningenieur einen lebendigen Eindruck seines zweiten Heimatlandes vermittelt hat, lässt den Bus an seinem Wohnhaus halten und lädt uns zu einem kleinen Imbiss ein. Wir genießen Kaffee und Kuchen und den Blick von seiner Terrasse aufs Meer. Schon bald stehen wir vor der Fähre im Stau, die uns von Horseshoe nach Vancouver Island bringen soll. Entlang der Küste geht die Fahrt weiter nach Chemainus, ein kleiner Ort bekannt für seine beeindruckenden Wandmalereien berühmter Künstler an fast allen Häuserfassaden.

Wir erreichen Viktoria, gelegen an einer natürlichen Pazifikbucht und für manchedie schönste Stadt der Welt. Am nächsten Tag gibt uns die Stadtrundfahrt einen Eindruck von der Hauptstadt British Columbias. Wir fahren durch die riesige Parklandschaft der Universität, auf der Uferstraße und durch die feinen Wohnviertel Upland und Oak Bay. Nach einem Imbiss am Hafen, das stattliche EmpressHotel vor Augen, besuchen wir das Royal BC Museum, aktuell mit einer beeindruckenden Maya-Ausstellung, bevor wir nach einem Blick ins prächtige Parlamentsgebäude das offizielle Programm beenden. Bevor wir am nächsten Nachmittag mit der Fähre von Swartz Bay nach Tsawwassen übersetzen und nach Vancouver weiterfahren, bummeln wir bei leichtem Regen durch Butcharts Garden, einemgroßen botanischen Garten, einst angelegt in einem ehemaligen Steinbruch.

Vancouver, 2,5 Millionen Einwohner, Expo-Stadt 1986 und Gastgeber für Olympia 2010, hält regnerisches Wetter für uns bereit. Ein Waldspaziergang in luftiger Höhe auf Stegen und Brücken, allen voran die lange, über eine tiefe Schlucht führende Capilano Suspension Bridge, war für manchen eine Herausforderung. Die Capilano Hatchery vermittelt uns einen fundierten Einblick in die Aufzucht von Lachsen. Im Stanley Park mit seiner unberührten Wildnis erklärt uns Hardy die Unterschiede der hier dominierenden Baumarten Hemlock, Douglasie und Zeder – auch Lebensbaum genannt. Mit einer Stadtrundfahrt und einem Spaziergang geht dieser letzte Tag einer spannenden und ungemein abwechslungsreichen Reise durch ein riesiges Land zu Ende. Nach dem Frühstück nehmen wir Abschied von Kanada.
Wir fliegen nach Chicago, dem Wohnort eines vor Jahrzehnten ausgewanderten Mitbürgers aus Hettingen. Dort verbringt die Gruppe noch drei Tage im privaten Rahmen, bevor sie nach Deutschland zurückkehrt.